|
Musik, Demokratie, tiergestützte Pädagogik Versuch einer Standortbestimmung Beginn 28.10.2021, überarbeitet 10.-13.8. 2024
Mit Pferden und Hunden hatte ich immer wieder zu tun, Cellospielen wurde zur Lebensaufgabe, Demokratie zum Querschnittsthema. Überschneidungen dieser Bereiche kamen mir zunächst absurd, dann zunehmend naheliegend vor - vielleicht ist es einen Versuch wert, drei so unterschiedliche Leidenschaften gemeinsam zu denken. Also braingestormter Beginn:
Musiker*innen profitieren durch Schriften zum mentalen Training von Sportpsycholog*innen. Langjährige Arbeit in politischen Gremien ergab die Sehnsucht nach Beschäftigung mit früheren, tieferen Ansätzen für demokratische Teilhabe, auch im beruflichen Bildungs-Kontext. Die musikpädagogische Suche zur Schlagwortkombination "Musik" und "Demokratie" mündete im Wunsch, über den üblichen vordergründigen Ansatz "Textanalyse im Protestsong" oder Praxisprojekte vom Typ eierlegende Wollmilchsau (wir lernen anhand eines antirassistischen Mülltrennungslieds die Viertelpause) hinauszukommen. Dazu kam, auf nur scheinbar schlichterer Ebene, das Spannungsfeld Tiererziehung zwischen Gehorsam und Selbständigkeit. Und die Frage nach (historischer) Entwicklung pädagogischer Gewohnheiten bzgl. Menschen (Kindern) und Tieren. Und deren Auswirkungen (bei den Menschen jedenfalls) auf den Umgang mit sich selbst beim Erlernen komplexer Künste.
Weit hergeholt in diesem Zusammenhang? Also: Eine Ebene tiefer, zu gemeinsamen Grundlagen. Oder noch eine Ebene tiefer. Oder noch eine...
2. Grundlagen suchen zu Musik, Politik, tiergestützter Arbeit.
Zum Beispiel... 1. machen - geschehen lassen: Das gilt für jede gemeinsame Arbeit: Dem anderen Impuls geben, aber auch genügend Raum. Das Gefühl dafür zu trainieren, wann Handeln gefragt ist, und wann man sich zurücknehmen muss. 2. innerlich - äußerlich: Die vollkommene Balance der regulierten Aufmerksamkeit zwischen innen und außen, Eigen- und Fremdwahrnehmung, mitteilen-zuhören usw. 3. Aktivität - Ruhe bzw extrem negativ überspitzt: Stress - Langeweile. Dazwischen gibt es das berühmte mittlere Spannungsniveau. Und so weiter...
Vielleicht geht es - qualitativ und quantitativ - genau so: WEIL unser Kulturgut so "hoch" (spezialisiert und anspruchsvoll) ist, brauchen wir so "tiefgehende" (grundsätzliche) Kommunikations- und Lerneinsichten. WEIL Demokratie so "wackelig" (unsicher und immer neu zu erkämpfen) ist, brauchen wir so "stabile" (gut trainierte) Fertigkeiten in Kommunikation, aber auch in Einsicht, Überzeugungen, Haltung. WEIL Hunde so unmittelbar kommunizieren, helfen sie uns vielleicht in einer hochkomplexen und schräg anmutenden Welt mit anspruchsvollen Aufgaben.
3. Zwei von drei: Tiergestützte Musikpädagogik mit Hund Das üben wir: Schnittstellen der Interessen kennenlernen: das Rudel zusammen halten/Harmonie/Gute Laune verbreiten/andere Rudelmitglieder beobachten, ihre Interessen kennen lernen/was Neues lernen/zusammen ein Abenteuer erleben/beachtet werden/sich zusammen für etwas begeistern) Harmonie/Ruhe/Selbstbeherrschung/Ordnung/gemeinsame Arbeit/Verlässlichkeit: Z.B. Einstiegsrituale (Dienstkleidung für den Hund, Wasser holen, Decke, Regeln) Abschiedsrituale (Belohnung, Reflexion, Hund packt seine Sachen ein: Aufräumen! Hund verbeugt sich oder winkt, Kinder auch, Entspannungsrunde, Arbeitskleidung ablegen, enspannter Spaziergang, Hund bleibt liegen, Kinder gehen leise raus)
Hier geht es dauernd um das gute "schöne" Maß. Sich selbst "rauf und runter" zu regulieren, will geübt sein, einfacher ist es sozusagen outgesourcet: Wir sehen unsere Affekte in den unmittelbar und unmissverständlich erkennbaren Äußerungen des Hundes, der auf seine Art unsere Befindlichkeiten sichtbar macht und auf unsere Anspannungen und Entspannungen sofort reagiert. Nerven behalten, Selbstvertrauen ohne Vergleiche Das schadet: Urteil, Kommentare, Bewertungen Das hilft: Akzeptanz (Man singt sozusagen gleich im Kürbereich, Pflicht überspringen wir. Dem Hund vorlesen, dem Hund vorsingen: Die Folgen des wertfreien Interesses und der kaum zu zerstörenden guten Laune und Ermutigung durch den Hund sind vielfach erprobt.)
Gehör Der Hund hört zu, hat aber bekanntlich ein empfindlicheres Gehör als wir. Für Musik im engeren Sinne interessiert er sich nicht so sehr. (Oder? Dazu kommen wir vielleicht noch irgendwann...), dafür aber für die Befindlichkeiten seiner Menschen. Das bedeutet dankbares und wertfreies Publikum, genauso Rücksichtnahme auf die feinen Ohren.
Vorstellungskraft, Spieltrieb, Mitteilungsbedürfnis, z.B. musikalische Parameter erforschen: Stimme, Gehör, Puls, Metrum (Viertakt, Gangarten), Bühnenprogramme, Zirkusnummern, Filme mit Hund, Spiele und Übungen ohne Hund: Sachkunde (Körpersprache!), Wie fühle ich mich in der Rolle des Hundes: Geclickert werden, Raum öffnen/wegnehmen, in den Weg stellen, Blick: fixieren/abwenden, sich ansehen vs. gemeinsam in eine Richtung schauen, sich in verschiedenen Winkeln nähern, sich groß/klein machen, was sind Beschwichtigungsignale (bei Menschen), Lernen durch Konditionierung. Präsentation mit garantierter Innerlichkeit: Schlechtes Beispiel Stimmungskanonengesang: flacher, quäkender Klang nach vorne raus, keine Eigenwahrnehmung, das Ohr abgeschaltet, keinen Sinn für die Mitmusizierenden. Schlechtes Beispiel Eremit: Völlig für sich, introvertiert, verloren, mit eigenen Problemen der Tätigkeit beschäftigt. Das Publikum fühlt sich abgehängt/nicht angesprochen. Die richtige Mischung aus beidem macht den schönen Auftritt...
Exkurs: So üben wir Musik– Beispiel Gesangsklasse
Individuell: Wir sind alle unterschiedlich, und wir lernen am besten zusammen, aber individuell. Das heißt, wir suchen die ganze Zeit nach einem Szenario, in dem wir zusammenarbeiten, dabei aber unterschiedliche Aufgaben übernehmen: Je nachdem, wozu wir gerade bereit sind, wozu die Zeit in unserem persönlichen inneren Plan eben gekommen ist, und was für die Gemeinschaft gut ist.
Handzeichen Hund/Handzeichen Solmisation: Wir kommunizieren nonverbal. Nicht nur, aber auch. Die Gründe sind durchaus vergleichbar: Wir arbeiten mit allen Sinnen, wir festigen das Gelernte mit allen Mitteln und wiederholen das Schöne und Richtige. Handzeichen helfen uns außerdem, die richtige Körperspannung zu finden, was sich wiederum auf die Qualität des Singens UND der Bewegung auswirkt – genauso auf unsere Mitmusizierenden, unser Publikum, unsere Umgebung, unsere Kommunikationspartner, sei es Hund oder Mensch. Visualisierungen allgemein und Handzeichen im Besonderen lassen uns klarer, ruhiger und wesentlicher kommunizieren.
4. Zwei von drei: Musikpädagogik und Demokratieförderung
Einfacher und in der Praxis gehören dazu Übungen wie diese:
- eigenen Ton halten, Cluster wiederholen/musikalische Parameter bewusst unterschiedlich/gleich machen (zB gemeinsame Lautstärke aber unterschiedliche Tonhöhe)/gemeinsame Gruppenton finden, weitergeben (Klarheit in der systemischen Selbsterkenntnis)
- metrische Übungen mit Grundschlag, den jeder einmal gibt, und nach dem sich alle richten ("Macht auf Zeit")
- aus gegebenem Akkord Lieblingstöne auswählen und im Zusammenklang "vertreten" (Varianten des möglichen finden aus begrenztem Material)
- in gegebener Form Solo-Chorus in der Gruppe improvisieren (Regeln beachten, die das Recht des anderen schützen)
- Bewegungen einer anderen Person musikalisch begleiten und immer klar definieren, was sich nach was richtet (informellen Hierarchien kritisch begegnen)
- Kunstformen übersetzen (nicht wertende Kommunikation üben)
Dazu einige besonders plakative Beispiele:
Black Beauty aus dem späten 19.Jh. kennen viele. Auch am Beispiel Hund ist zu sehen, wie der Aspekt Augenhöhe mit der politischen Demokratisierung Einzug in die (Tier-)Erziehung hielt. Es ist vielleicht kein Zufall, dass in den 1970er Jahren der Collie beliebter wurde: Ein sensibles und selbständig denkendes und handelndes Tier, das auf geflüsterte Anregungen und gute Laune mit begeisterter Mitarbeit reagiert, bei gebrüllten Befehlen aber schnell eine Totalblockade bekommt. In jeder Hinsicht wuchs jedenfalls das Interesse des Menschen an gewaltfreier Erziehung, an komplexen Kommunikationsabläufen mit Mensch und Tier, an Beobachtung der Tiere untereinander. Und an Domestikationsgeschichte: Der Wolf hat (auch) den Menschen domestiziert, nicht (nur) umgekehrt, und vieles weist darauf hin, dass es eine recht gleichberechtigte Zweckgemeinschaft ("Lagerwolf") gab, an der die Wölfe vielleicht sogar das größere Interesse hatten.
Unsere eigene pädagogische Welt ist sicher besonders geprägt von Pluralismus, oder weniger nett: unlogischen Extremen und erschreckender Abweichung der Praxis von theoretischen Einsichten. Das betrifft Menschen wie Tiere, und muss an anderer Stelle weiterdiskutiert werden. Sicher ist, dass auch wir, unser Umgang mit Tieren, unsere (tier-)pädagogischen Bemühungen und dieser Text von Vorannahmen im Hinterkopf geprägt sind, die wiederum mit gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen und Gewohnheiten zu tun haben. Diese genauer zu beschreiben, bleibt vermutlich nachkommenden Generationen vorbehalten, wenn es sie denn interessiert.
6. Drei von drei: Sammelsurium von Idealen oder Grundlagensuche
Das lernen wir (hoffentlich):
Exkurs zu einigen Watzlawick-Axiomen (Man kann nicht nicht kommunizieren/ Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt/ Kommunikation ist immer Ursache und Wirkung/ Menschliche Kommunikation bedient sich analoger und digitaler Modalitäten/ Kommunikation ist symmetrisch oder komplementär): Unterschwellige Kommunikationsmuster entdecken/ (Nonverbale) Kommunikation, Bewegungsbegleitung (Wer reagiert auf wen?): Übungen/ Komplexere, nicht abfragbare Kommunikation fördern (Musik und Hund)/ „Bedeutung“ von Musik (Hund Jara und das Cello: Celloklang bedeutet Freunde (Celloschüler*innen, die sie gerne mag), Entspannung ODER Arbeit, neue Tricks, Leckerli) erforschen: „Semantische Befüllung“: operante Konditionierung oder Extinktion bzgl. eines Reizes (zB Tonfolge auf dem Cello)/ Den Hund lesen lernen (wie geht es dem Hund, wohin geht der Hund im Sitzkreis, wenn man nichts macht/ihn anschaut/…)/ Klarheit lernen (Sprache+Körpersprache), z.B. Ermutigung, Anfeuern/Intervenieren: Wegdrehen (Hier wäre eigentlich ein Exkurs zum Thema Intervention nötig. Mit Interventionen ("Strafe") kann man nichts beibringen, höchstens was unterbinden. Auch hier ist Abbruch ("das Unerwartete tun") die vertretbare Option. Das widerspricht grundsätzlich einer Eskalation. Konsequenz nützt nur bei Abbruch, bei Eskalationen undenkbar! Mitarbeit gewinnen widerspricht Willen brechen (beides geht nicht, und letzteres hat man in der Hunde- und Pferdeerziehung inzwischen abgeschafft). Gemeinschaft, Augenhöhe Das hilft: Aufrichtiges Interesse füreinander, aktives, wertfreies Zuhören
Eigenwahrnehmung/Fremdwahrnehmung unterscheiden lernen Eigenwirksamkeit spüren (ein noch so kleines Stück davon kann alles verändern...) Aufmerksamkeitsregulierung (internal/external/eng/weit usw)
Seine Grenzen zu erkennen, lernt man in jedem Fall: - beim Üben von Musik, zum Beispiel weil man merkt, wie komplex was ist, was einfach aussieht. - noch mehr sieht man sie beim Umgang mit dem Tier, weil man oft genau in dem Moment, wo man meint, es gut zu kennen, merkt, dass es ganz anders tickt, als man dachte und als es in allen Büchern steht. - und am allermeisten in der Politik, wo man dauernd merkt, wie viel mehr Verantwortung man übernehmen muss, als man Folgen seines Handelns durchschaut.
...und natürlich wieder die berühmte Freiwilligkeit: Natürlich kann man andere notfalls eine Weile zu ihrem Glück anregen, überreden, bestechen, zwingen. Das muss man aber vertreten können, und alle wissen, es ist bestenfalls der temporäre Überbrückungsplan Plan B, und man muss dann schon so weit über den Dingen stehen, dass man ganz sicher ist, dass in absehbarer Zeit der große Moment der Freiwilligkeit kommt, der Musenkuss, die Begeisterung. Eleganter wäre eine Art pädagogisch-demokratisches Shaping (man unterstützt zufällige winzige Schritte in die richtige Richtung).
Die kleinen Himmel auf Erden, die perfekten Momente im Kontakt mit dem Tier, mit der Kunst, mit den großen Menschheitsideen oder womit auch immer aber entspringen scheinbar aus dem Nichts, dann, wenn man sie nicht erwartet, aber sie sind heilig und man könnte ihnen zeitlebens ja schon mal die Bedingungen optimieren, die richtige Umgebung bauen, wie scheuen Tieren, damit sie – vielleicht - kommen. Und man könnte versuchen, sich selbst offen zu halten, damit man sie bemerkt, auch dann, wenn sie ganz anders aussehen, als man dachte. Mehr kann man nicht tun, aber wahrscheinlich gilt es vor allem, sich und anderen nichts zu vertun und all die angesprochenen Tugenden zu üben.
7. Anregungen, Kurzdefinitionen, Quellen und weiterführende Links Kein Anspruch auf Vollständigkeit, eher zur Inspiration (oder Abschreckung)...
Geschichte der Tiere: Der Hund – ZDFmediathek David Mech: Dave Mech – scientist and wolf researcher Schülerheft Gesangsklasse | HELBLING Publishing Rats- und Bürgerinfosystem (gremien.info) Hans Eberspächer: Mentales Training. Das Handbuch für Trainer und Sportler W. Timothy Gallwey: The inner game of Tennis Die 5 Axiome der Kommunikationstheorie von Paul Watzlawick Demokratiebildung an Schulen - DeGeDe DNB, Katalog der Deutschen Nationalbibliothek (zu Johanna Haarer: Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind) Operante Konditionierung • Skinner und Definition | Studylfix · [mit Video] (studyflix.de) Geschichte der Tiere: Der Hund – ZDFmediathek Kalokagathia - Metzler Lexikon Philosophie (spektrum.de)
Impressum Rechtliche Hinweise Datenschutz
|