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Verwortungen und Neben-Sätze

 

 

 Befindlichkeitensammlung (2025)


emporschiessende Energie mit maximalem Potential in alle Richtungen zur Kenntnis zu nehmen


gerade noch mit viel Mühe Disziplin zu wahren


zu unpassenden Zeiten die Kruste der heilen Welt aufbrechen zu sehen


nicht schlafen wollen können


auf eine Mitteilung hin überlegen, sich zuerst mit der Beziehungsebene zu befassen, bevor man zum Inhalt kommt


mit dem Gedanken kämpfen, etwas nicht angehen zu dürfen, weil man nicht in dieser Liga spielt


bei Entscheidungen zu lange über Unterschiede in der Dosisrelevanz zu sinnieren


unsicher sein, ob man etwas thematisieren soll


endgültig von etwas auf nichts zu wechseln und überall Zwischenräume zu sehen


der Sturz in die Einsamkeit

das Glück, sich getäuscht zu haben

das Gefühl, für einen unbekannten Gedanken einen Raum geschaffen zu haben

das Bedürfnis, andere Leute mit in seine Mittelmäßigkeit zu nehmen

die Entscheidungsschwäche, ob man unangenehme Gedanken zu Ende denken oder verdrängen soll

die Frage, ob man durch Grenzenziehen was verpasst


Unsicherheit bezüglich einer Erinnerung

Falsche Sicherheit bezüglich einer Erinnerung


Der Moment, in dem man hinter die Bewegung gerät,

in dem klar wird, dass man sofort aus der Passivität raus muss


auf den Subtext antworten können, ohne ihn zu thematisieren


einen erkannten Fehler aus technischen Gründen noch nicht in Ordnung bringen zu können

von Stolz in Scham zu fallen, weil man sich bei Autoritätshörigkeit erwischt


sich wohlig fallen lassen in die Unvernunft

 

Hinter dem Rummel (2025)


Durch bunte Schubladen katapultiert

klamaukig reizüberflutet denkuntergraben


such den Ball

fang den Hut

finde den Fehler

hau den Scheinriesen


triff hinter dem Rummel


den Elefant in allen Räumen

Meister der Geister im Kabinett aus der Bahn


Bitte einmal an deiner statt

Vexierbild Komplementärgehirn

für kleine Münze Rollentausch


rede für mich weine für mich


Stellvertretung fremdschämen

kleine kreuzestödchen bitte ankreuzen


einmal


für dich lachen für dich schweigen


triff mich nochmal

im Zwischenhirn am Ausgang

oder mal lieber auch

am Eingang


durch und durch schauen

wieder und wieder sehen


all die Bälle Schubladen Elefanten Hüte Riesen Geister

und wir schon wieder

ansehen aufsehen losgehen



Das Ei des Kolumbus (2024)

Was, wenn

man das Unmögliche erzwänge, gewaltvoll genial uneingeschränkt erfolgreich

Wenn man forciert Freiheit schaffte und,

was schnell gen Unterwelt geschlagen, die Richtung änderte,

in Nachwelten schweben lernte


sich alle Wahrheit wagemutigem Affekt einfach beugte,

eiskalt und unverfroren endlich überraschte Wärme schaffte,

der Durchmarsch im Kreise tanzen könnte


ein Nein den vielen kleinen Jas den Weg frei machte

und das brutale Ja den reinen Seelen unsicheren Neins


Und was, wenn der Moment der Tat all der langen Zweifel gedenkt

denen er sein kurzes Leben dankt

 

 

Cello, verwortet (2024)

Bewegung innen und

Bewegung außen

Die Freude übereinzustimmen

aber

das endet einen wohligen Lidschlag später


in so einem kategorischen Punktum fertig genug ist genug


aber unbemerkt aus diesem allzufrühen Schluss

schlängelt ein Rinnsal sich Bahn


will zauderlos weiter unten nochmal beginnen


und in so ein Wundern hinein geht es

kein großes

ein mittleres Wundern


Bewegung bleib bleib

aber vielleicht nur noch innen


Haar auf Darm Eisbürste Stahllocke Herzfenster

ein laufender Meter Unendlichkeit

Innerste äußerste Welten streichzart eindimensioniert

auf fabelhaft einfachem Feinbau aufab abauf


Lichtwegzeichnen stör nicht

Fernmelden Allrufen

Höllenschimmer Himmelöffnen du bist dabei


Klang dein Weg

Sprache dein Tasten

Einbahntanz


bleib bleib innen

mehr davon mehr mehr

um diesen Schluss

den man schon kennt

einfach zu überrennen

aber vergebens er ist noch größer


Warum

Mir egal

Warum

Mir egal


Gib auf gib einfach auf


Aber immer noch

Klang dein Weg

Sprache dein Tasten

Einbahntanz


ein Ton reicht auch


Lichtwegzeichnen stör nicht

Fernmelden Allrufen

Höllenschimmer Himmelöffnen du bist dabei


Rinnsal und Punktum und Rinnsal

Bewegung innen

Bewegung außen

passen wieder

Solche Freude

 

Phrasierung (2024)


Kann ich bitte mal im brüchigen Jetzt wohnen,

nur kurz eine winzige irrwitzige Entspannung fühlen?


Kann ich bitte diesen gefährlichen Moment verlängern

in dem alles unerträglich gedehnt offen bleibt

irgendwie aufhalten aushalten?

 

Kann ich dann bitte die Folgen organisieren,

damit das passt, was Zeit noch nicht verschieben will,

alldem entsprechend proportional hinrechnen,

das kaum zu Ertragende zusammengebaut gleichgewichtig machen?


Kann ich bitte dann diese ganzen anderen Momente,

diese ausgerechneten eingefügten halbwegs stimmigen,

die Drehzahl, den Puls vorsichtig langsam senkend,

zusammenfassen zu einem, zu dieser vertrauten alten Entspannung,

auch durchfühlend konzentriert ertragen bis zu einem sinnvollen Ende?

 

Artikulation (2024)


Zwischen schön und präzise liegst du

ohne Arg und ohne Ziel

sprich doch aber nicht zu viel

sing doch, aber nicht zu lang


Zwischen eitel und ehrlich suchst du

in Zeitbrüchen und Silbengeröll

Finden wiederfinden zurückgeben

flüchtig es ist nicht deins


Zwischen außen und innen hörst du

Vogelrufe Fremdsprachen

tun als ob wär gut oder mach nach

die oder die vielen anderen


Zwischen züngeln und klingen eilst du

durch Weltenklein und Kosmosbrösel

atme aber ohne Zeit

sag das Wort aber merk es nicht

 

 

 Traumhaus (2002)


Willkommen im Wunderhaus! Bitte treten Sie näher und entrichten den Eintrittspreis bei der netten Dame an der Kasse, ja, hier links. Allerdings zahlen Kinder, Rentner und Arbeitslose den vollen Preis, bei uns gibt es keinerlei Ermäßigungen, aber Sie werden mit dem Presi-Leistungs-Verhältnis hier durchaus zufrieden sein. Das wichtigste ist: Sie haben uns überhaupt gefunden. Kommen Sie ruhig durch diesen Torbogen, sehr ansprechend mit Rosen, nicht wahr, die blühen das ganze Jahr, wir haben sie nach Wunsch in rosa vor dunklem Holz oder in blutrot vor weiß gestrichenem Gitter, machen wir alles. Oder lieber Granit mit Efeu? Selbstverständlich führen wir auch Glasfassade mit Stahlträgern ohne Bewuchs, da hab ich Sie aber völlg falsch eingeschätzt, Verzeihung.


Sie lieben hohe, helle Flure, das hab ich Ihnen aber sofort angesehen. Und für Ihre Tante eine niedrige Allgäuer Decke mit schiefen Balken, jawoll, und ein Tischchen gleich vorne, mit Häkelkissen. Für den Herrn hinten einen Porzellandalmatiner mit Goldkette gleich im Eingangsbereich vor Stoffblumengestecken und Sie kriegen viel Besuch? Hier die Garderobe, filigran anzuschaun und sehr stabil.


Ich bin oft hier, an dem Ort, von dem sie alle träumen, jeder sein Leben lang vielleicht, jedem Höhlentierchen sein Loch, jedem Bürger sein Reihenendhaus, jedem Wellensittich sein Käfig, aber das hier ist besser...Hier kriegen Sie Selbstverwirklichung pur, Entfaltungsmöglichkeiten für jedermanns kreative Kräfte hinter der ureigenen Tür. Mein Wunderhaus, dein Eigenheim, unser Spielraum.


Im ersten Zimmer vor dem Panoramafenster kann man gleich mal eine Nebelmaschine anwerfen, die einem alles verhüllt, was einen an der Aussicht stört, was man noch weiterhin sehen möchte, bitte per Mausklick markieren, bei Frau Hübner ist es nur der gepflegtere Teil des Gartens mit dem Teppichrasen und den lila Glänzkugeln, bei Sigrid nur der ungepflegte mit den Stauden, für deren landesweite Bekämpfung das Forstamt einen Wettbewerb ausgeschrieben hat, bei Herrn M seine garage mit dem BMW, bei Robert die Fabrik mit dem letzten rauchenden Schlot, damit er seine sozialkritischen Siebzigerjahrelieder besser singen kann, bitte sehr. Bei dem wald gegenüber sind sich alle wieder einig.


Es folgt, was die allgemeine Stimmung der Besucher weiterhin positiv beeinflusst, der Kramschrank ohne Rückwand.Man gräbt sich hinein durch alles, was sich über Generationen dort angesammelt hat und die einzige Regel ist, dass man nichts wegschmeißen darf, was man dort findet. Ein Seidenschal (Vorkriegsware) mit Fransen, noch gut erhalten bis auf zwei kreisrund hineingebrannte Zigarillolöcher, bestimmt aus einem kreativen nächtlichen Abend in einer europäischen Großstadt, die dame mit dem Pagenkopf tritt auf und ein Herr mit hellen Schuhen...eine Sammlung noch druckfrischer Prilblümchen für die Kacheln, wie man sie nur noch in der letzten unrenovierten Ferienhausküche findet, mit einer toupierten Gattin, deren gepflegte Hände uns Kaffee einschenken, und die anschließend wieder blasser werdend in ihrer Spülmittelflasche verschwindet...gehäkelte rosa Babyschuhe, mit viel Aufwand bestickt und die dunklen warmen Augen der Mutter leuchten hindurch, mit viel Zeit, viel Ruhe...ein seltsames Werkzeug, das niemand kennt, und von dem sich Herr Werner immerhin eine Skizze machen darf, zum späteren Nachschlagen...alte Zeitungen, Gartengeschirr, und eine kleine, tadellos funktionierende Teppichkehrmaschine. Und so weiter, einige Leute sind bereits in den Tiefen des Schranks verschwunden und nie wieder aufgetaucht.


Im Zimmer gegenüber kann man Träume abrufen, an die man sich nur noch schemenhaft erinnern kann: Man gibt einfach die Bruchstücke der Erinnerung ein und legt sich anschließend auf ein Sofa eigener Wahl. Der Traum wird einem haargenau nochmal serviert. Oder man kann ein Datum aufrufen und kriegt den Traum selbiger Nacht.


Nur durch eine Verbindungstür getrennt, findet man die selbe Einrichtung für alte Bekannte, die man aus den Augen verloren hat. Oft lasse ich mir verflossene Schwarmobjekte oder Nebensitzer aus Schulzeiten einblenden oder deren Kinder, Enkel und Urenkel...ja, Zukunft geht gegen Aufpreis auch. Da man die aufgerufenen Personen spontan in ihrer jeweiligen Alltagssituation sehen kann, ergeben sich aus Gründen des Anstands und des Datenschutzes manchmal kleine Wartezeiten. Vor der möglichen psychischen Belastung wird durch ein Schild an der Tür gewarnt, und es hat selbstredend in diesem raum auch schon manchen Aus- und Zusammenbruch gegeben, aber unsere Kunden haben auch positive Aspekte wie das Begleichen alter Rechnungen, Abschwächen von Rachegefühlen und Füllen seelischer Lücken genannt.


Wem das zu persönlich ist, dem wird vielleicht Zimmer fünf gefallen. Hier darf man Klassen treffen eigener Wahl veranstalten, und sowohl eigene Bekannte, die sich gegenseitig nie kennenlernen werden als auch Gestalten aus Beatles-Songs, aus Schillers Dramen, aus der Bibel oder sonstwoher nebeneinander an einen Kaffeetisch setzen und zuhören, was Luise Millerin mit dem Fool on the Hill besprechen würde oder Zarathustra mit Pippi Langstrumpf besprechen würde. Einmal blieb ich fast die ganze nacht, um zu hören, wie eine Dame aus dem Kirchenchor mit dem Exfreund meiner Kusine philosophierte, und mehrmals war ich hoch erstaunt über die politischen oder religiösen Ausprägungen verschiedener flüchtiger Freunde, die sich erst in diesem extra provozierten Treffen mit gänzlich Fremden offenbarten, tja, das alles bietet Ihnen das Traumhaus. Übrigens funktioniert das ganze, wie man nun herausgefunden hat, auch mit leuten, die zum Beispiel im gleichen Jahr gestorben sind. Ich habe keine Ahnung, ob Fritz Walter, Luise Rinser und Soraya sich im wirklichen Leben je begegnet sind, an dieser Kaffeetafel hier unterhielten sie sich jedenfalls höchst angeregt. Der Möglichkeiten sind also viele!


Anschließend empfehle ich wärmstens den WASWÄREWENN-Palast, der den latenten Wunsch nach Eskalation in uns befriedigt. Wer hat nicht schon als Kind bei offiziellen Anlässen überlegt, was passieren würde, wenn man jetzt etwas ganz Unmögliches täte, in der Oper laut mitsänge, ein Schwein in den Bundestagsplenarsaal ließe, nackt zum Bäcker ginge, bei der Hochzeit NEIN sagte, oder dem Solist eines Oboenkonzerts sein Instrument entwendete, um selbst hineinzupusten. All diese Situationen kann man hier einfach weiterlaufen lassen, es gibt wohl einen roten Stop-Knopf, aber ich kann versichern, dass es manchmal sehr lange dauert, bis man ihn betätigt...alle Insassen des WASWÄRWENN-Palasts kommen jedenfalls mit diesem hämischen Lächeln auf dem Gesicht wieder heraus, und sie kriegen es meist den ganzen tag nicht mehr los. Manche Versuchsreihen zeihen sich auch über Wochen hin, so die der Frau F., die allsonntäglich einen mit Gummibärchen garnierten Rostbraten vor der Nase ihrer Gäste durchspielte, oder gar Monate wie die des Stadtparlaments von G., die einen dreijährigen Bürgermeister hatten. Wie dem auch sei, passen Sie also die gewählte Situation an die Menge Zeit an, die Sie zu investieren geneigt sind.


Zimmer sieben beherbergt die Authentizitätsmühle mit eben frisch installierter Pathoskläranlage. Das Lebenswerk vermeintlich wichtiger Personen, die Produkte einer Volkswirtschaft, gesellschaftliche Gepflogenheiten, Verordnungen, Gesetze und Fördermaßnahmen werden einer moralischen Kosten-Nutzen-Rechnung unterzogen und ihr tatsächlicher Wert in Zahlen ausgespuckt. Das gibt natürlich viel Ärger, und jeder gibt natürlich nicht seine eigenen Werte und seine eigene Lebensleistung ein, sondern die anderer, die man eh schon im Verdacht hatte, Schall und Rauch, geliehen, geklaut, übertrieben, aufgebläht, fremdfinanziert, überholt, sinnlos undsoweiter zu sein. Die Ergebnisse müssen übrigens geheim bleiben und dürfen nicht vor die doppelte Stahltür von Zimmer sieben gelangen. Man fürchtet, die vor sich hinpfuschende Welt aus den Angeln zu heben. Aber soll durchaus auch amtierende Lichtgestalten geben, die den Test überstanden haben.


Harmloser ist Raum acht: Hier darf man ältere Gegenstände mitbringen und erfährt deren Lebensgeschichte im Detail. Beliebt bei Besitzern von alten Geigen, Büchern und Möbelstücken. Neuerdings ersteigern Gäste des Hauses bei Internetauktionen völlig wertlose Dinge, nur, um sie hierher zu bringen! Interessant wird es allerdings erst so richtig bei Gegenständen, die extrem häufig die Besitzer wechseln, zum Beispiel Geldstücken, da muss man schon etwas Zeit mitbringen.

Frust entsteht abwechselnd mit Bewunderung bei der Erkenntnis, wie oft die Geige schon klaglos Bachs Chaconne oder die C-Dur-Tonleiter lernen musste und welche Seiten des antiquarischen Buches überhaupt noch nie gelesen worden sind trotz Tonnen an Sekundärliteratur.


Im Wellnessbereich finden sich alle wieder, bei schaumigem Cappuccino auf großräumigem Holzboden stehen Tischchen mit Schreibmaschinen herum, auf denen spontan getippt werden darf, im Innnehof laden Rhetoriker auf Sockeln zu kontroverser Diskussion über verschiedenste gesellschaftspolitische Themen ein, in der Videothek kann man die dritte Folge von Hanni und nanni oder der Harald-Schmidt-Show oder den Muttertag 1987 nochmal angucken. Eigene Gedichte, Lieder, Gemälde oder Aktionskunst jeglicher Art bitte in den Innenhof! Nach dem Duschen bitte alle ins Johanniskrautcenter, wo man automatisch seine zehn persönlichen Top-Qualitäten ausgespuckt kriegt, auf Wunsch in einen Glückskeks eingebacken. Durch mehrmalige Besuche im Traumhaus lässt sich erfahrungsgemäß die Hitlistenstatistik durchaus verändern, von Ornungsliebe und Pünktlichkeit hin zu Spontaneität und gelassenheit, ach, bei Ihnen ist es andersherum?


Es geht hier immer weiter, und kein Mensch weiß, wie viele Zimmer das Haus wirklich hat. Das letzte ist jedenfalls bekannt: Hier werden alle Bau-, Umbau- und Renovierungsarbeiten des Hauses in umgehrter Reihenfolge abgewickelt: Als man noch für die Schwiegerkinder angebaut hat, es noch einstöckig war, die Tapeten noch Blumen hatten, das Fachwerk verschalt wurde, die Trennwand versetzt, der Torbogen abgerissen, die Stützmauer errichtet, als die Tante noch in der Kammer schlief, als der Raum hinten links noch an einen Zimmerherrn vermietet war, der Keller noch nicht verputzt, der Schuppen hinten noch stand, ...und schließlich nimmt man an der Einweihung teil, hilft beim Parkett verlegen, schenkt beim Richtfest Getränke aus und findet sich am Ende in einer schlammigen Baugrube wieder, allein. Irgendwie muss man ja wieder rauskommen. Besuchen Sie uns bald wieder!

 

 

Handbuch dominantes Kommunikationsverhalten (2020)

1. Die einfache Art

Sprechen Sie deutlich lauter, leiser, kürzer oder länger als Ihr:e Vorredner:in (das diskreditiert ihn/sie rhetorisch,). Betont langsameres Sprechen suggeriert darüber hinaus, dass a) jedes Ihrer Worte sitzt wie ein Donnerschlag und b) Ihr grundsätzlicher Anspruch auf mehr Redezeit schon mal in trockenen Tüchern ist – für den Fall, dass Sie mal mehr sagen wollen.

Fallen Sie ins Wort. Bei diesem Klassiker gibt es verschieden raffinierte Arten:

Schlichte Unterbrechung, die als solche auch wahrzunehmen ist (oder höflicherweise auch benannt wird, evtl mit Entschuldigung)

Ignorieren der/des aktuellen Redners (er/sie wird als Hintergrundgeräusch abgetan). Brutalstmöglich: Wenn der/die Höflichste in der Runde endlich auch mal zu Wort kommt, unterbricht man ihn mit einem jovialen: "Und? Wer will noch alles Kaffee?"

...bis hin zu einer mental-crescendierenden Woge an "Meine genialen Gedanken halten deine Zeitverschwendung jetzt dann bald einfach nicht mehr aus, aber ich bin sogar höflich genug, dich ausreden zu lassen!".


Für Fortgeschrittene: Kommen Sie regelmäßig zu spät und melden sich noch auf dem Weg zu Ihrem Stuhl vehement zu Wort. Botschaft: Nichts ist so komplex, dass Sie es nicht in eineinhalb Sekunden vollständig beurteilen könnten.

Oder, umgekehrt: Sie dozieren Ihre Umgebung zu und verschwinden dann übergangslos (Klo, Telefon, Luft schnappen, eine rauchen). Brillant: Sie kehren dann nach einiger Zeit mit Eis für alle wieder zurück.


2. Die künstlerische Art

Legen Sie lange, bedeutungsschwangere Pausen ein, dabei kundtuend, dass Sie noch nicht fertig sind und die Pointe gleich noch kommt.

3. Im Gespräch

Rollen Sie Sachverhalte stets nochmal ganz von Anfang auf.

Für Fortgeschrittene: Die Welt wird nicht nur erklärt, sondern auch gleich im eigenen Sinne gedeutet.

Vorteil: Wenn Ihre Zuhörer:innen die vielen Inhalte, die sie schon kennen, überlebt haben, sind sie vielleicht schon zu erschöpft für die Erkenntnis, dass es keine Pointe gibt.

Ziehen Sie Vergleiche aus dem mutmaßlichen häuslichen Bereich Ihrer Kommunikationspartner heran:"...wenn bei Ihnen zu Hause der Fernseher kaputt ist, da machen Sie doch auch...".

Noch besser: aus dem beruflichen Bereich, beispielsweise für Musiker*innen:" ...das ist, wie wenn bei deiner Geige..."

Eine klare Grenzüberschreitung, die klarstellt, dass Sie sich selbst noch eher Sachkenntnis auf dem Gebiet des Gesprächspartners zutrauen, als dem Gesprächspartner Verstand genug, den tatsächlichen Sachverhalt zu verstehen.

Variation: Geben Sie Tipps und Empfehlungen aus dem beruflichen Spezialgebiet des Gesprächspartners. Besonders Künstler:innen freuen sich, wenn sie in das Konzert der Kollegen geschickt werden ("das müssen gerade Sie unbedingt hören"), ihnen deren Künste wortreich geschildert werden, sie zum x-ten mal ein lustiges Video mit ihrem Instrument geschickt kriegen - oder (noch besser) man sie in ihrer kargen Freizeit zum häuslichen Musizieren einlädt. Aber auch Ihr Hausmetzger wird über die enthusiastische Beschreibung der konkurrierenden Discounterwurst begeistert sein. (Variante: "Wir rufen immer beim Burger King an und fragen, wo der Mc Donald's ist.")

Täuschen Sie in jedem Fall stets Sachkenntnis vor. Das hat natürlich seine Grenzen.

Alternativ (wenn Sie realistischerweise befürchten müssen, inhaltlich nicht mehr mitreden zu können), den Gesprächsstoff möglichst elegant (wenn dies nicht möglich, als Überraschungsangriff) auf ein Thema lenken, von dem Sie selbst mehr verstehen als andere.

Das kann bis zu der über allem stehenden Angewohnheit gehen, Themengebiete, von denen man nichts versteht (oder für deren Vermeidung man geheime Gründe hat), grundsätzlich für unbedeutend zu erklären. (Siehe auch unter: Weiterführende Kompetenzen)

Im schlimmsten Falle: Unerbittlich immer dieselbe Antwort (oder noch besser: verdeutlichende Anekdote) wiederholen. (Botschaft (mit geduldigem Gesichtsausdruck): Mehr gibt es dazu einfach nicht zu sagen!)

Stellen Sie gelingende Abläufe immer als eigenes Verdienst hin ("...wir haben erreicht, dass...").

(Wir nennen das Bengolismus. Hofhund Bengo bellte immer, wenn der Traktor fuhr - in der Meinung, der Traktor führe, weil er belle. Oder vielleicht meinte er es nicht wirklich, wollte es aber (aus den üblichen Gesichtswahrungsgründen) so verstanden wissen.)

Statt zu reden geben Sie abqualifizierende Körpergeräusche von sich (Schnauben, prusten, diverse Vokalisen). Übergang zwischen Reden und Geräuschen sind Allgemeinplätze ("Ach du lieber Himmel! " "Das schon wieder", "Beruhige dich doch mal!"

oder – subtiler - das beliebte "Alles gut!")

Für Fortgeschrittene: Verwenden Sie sehr bekannte Zitate. Dabei kann man auf Beifall hoffen, auch wenn der Sinn verborgen bleibt, denn alle freuen sich und spenden gerne Applaus, wenn sie was hören, was sie kennen (oder glauben, kennen zu sollen, Stichwort Imponieranglizismen).

Bei Zustímmung niemals zustimmen, sondern grundsätzlich noch eins draufsetzen ("Gut, aber so einfach geht das nicht. Da braucht es eine groß angelegte Strategie. Wir müssen mindestens...")


4. Intern

Lassen Sie eigene Errungenschaften durch Schlechtreden der Gegner noch besser aussehen.

Wenn unter den Blinden schon der Einäugige König ist, wie weit stehen unsere Genialitäten dann darüber....!

Für Fortgeschrittene: Abfällige Bemerkungen über Dritte verbinden mit taktischen Hinweisen zu deren Behandlung ("...wir lassen die erst mal reden, damit sie meinen, wir würden...")

Das wirkt bedrohlich, weil der/die Gesprächspartner:in ja das nächste Opfer dieses Benehmens sein könnte.

Noch raffinierter: Warten Sie, bis sich einer Ihrer eigenen Leute aus Versehen zustimmend zu irgendeinem anderen Akteur geäußert hat ("der Dings hatte eigentlich recht, als er neulich..."). Dann feuern Sie ein gezieltes, kurzes, emotionsloses, degradierendes Statement ab ("Den nimmt ja keiner ernst.").

Beginnen Sie ein vertrauliches Gespräch unter Freunden mit scheinbar aufrichtigen Fragen ("Sag mal ganz ehrlich, wie's dir geht"), um nach den zu erwartenden offenherzigen Antworten ein gönnerhaftes verbales Schulterklopfen ("Na, das klappt bei dir bestimmt bald ganz gut") loszuwerden. So haben Sie den doppelten Gewinn, beginnen als Kumpel und enden als Patenonkel.

Unterstellen Sie ein gemeinsames Schicksal ("Dir geht's ja bestimmt auch immer so, dass...") und übertragen Ihre Probleme dabei suggestiv auf Leute, die bestimmt noch gar nicht wussten, dass sie die haben.

Erinnern Sie Leute, die Sie schon länger kennen, in regelmäßigen Abständen an Misserfolgserlebnisse.

Zitieren Sie ahnungslose vermeintliche Autoritäten ("Prof. X/Onkel Y ist auch der Meinung, dass das in der aktuellen Situation unmöglich gehen kann")

Auf ernsthafte Kritik reagiert man, wenn überhaupt, psychologisierend ("du kannst dir ruhig zutrauen, da nachzuhaken, find ich toll. Ich bin sicher, du schaffst das"/" ich verstehe, dass du Angst vor xy hast, wir machen das gemeinsam, ok?"/(im Rundumschlag, noch wirkungsvoller) "jetzt kochen wir uns alle mal ein bisschen runter", der Möglichkeiten sind viele).

Oder man gibt onkelhafte Kommunikationsratschläge zum Zwecke der externen Gesichtswahrung ("du sagst am besten, du hättest eigentlich gemeint...")

Nervige Mitstreiter:innen befördert man im Geiste auf eine scheinbar höhere Ebene weg, nicht ohne diese im nächsten Satz für irrelevant zu erklären ("Der wäre eigentlich was für die Landesebene. Obgleich der Föderalismus ja keine Zukunft hat.")

Grundsätzlich sollten Sie mit allen Menschen so reden, wie Sie es auf Ihren Kommunikationsfortbildungen gelernt haben. Das generiert bei Ihren Mitmenschen den Eindruck, zu einer dumpfen Masse zu gehören, die durch professionelles Training steuerbar ist.

Allerdings sollten Sie nach Ihrer Fortbildung "wertschätzender Umgang mit Untertanen" Ihre Kommunikationsmuster seeeeehr behutsam verändern. Ihre Gesprächspartner:innen fühlen sich sonst mehr untertänig als wertgeschätzt. Denn möglicherweise waren sie auch auf Fortbildung.

Strukturell: Hat ihr zeitlich begrenztes Gespräch eine Tagesordnung oder Ähnliches, besprechen Sie ihr Lieblingsthema in epischer Breite. Am besten schmücken Sie es mit einigen Anekdoten aus, das sorgt für Stimmung. Bei allen anderen Tagesordnungspunkten fordern Sie hingegen, im Sinne eines professionellen Zeitmanagements, energisch Vertagung.

5. Umgang mit Untertanen

Verteidigen Sie eigene, anwesende Leute öffentlich gegen Dritte.

Dient offensichtlich zur öffentlichen Klarstellung von Hierarchien.

Loben Sie öffentlich. Das ist viel schlimmer, als jemanden öffentlich zu tadeln, da man hier ebenfalls vor allem Hierarchien zur Schau stellt.

Loben Sie öffentlich wegen Geringfügigkeiten ("...echt super, wie Du den Müll rausträgst...").

Beachten Sie dabei:

Auf der Dominanzebene 3 (noch gewisser Respekt vorhanden) lobt man die Leistung des anderen ("Super hast du den Müll rausgetragen!").

Auf Dominanzebene 2 (kein Respekt) lobt man den anderen als Person ("Du bist der beste Müllbeauftragte, den wir je hatten").

Auf Dominanzebene 1 (abgrundtiefsitzende Überzeugung, dass man Lichtjahre über dem anderen steht) lobt man die persönliche Entwicklung des anderen ("Du hast am Anfang noch Schwierigkeiten gehabt, aber inzwischen hat sich das Müllraustragen echt ganz erstaunlich gemacht bei Dir!")


Variante: Offensichtlich masslos übertriebenes Lob ("Von dir können die Fachleute was lernen!"), wirkt zynisch.

Fragen beantwortet man grundsätzlich im Sinne von Ratschlägen. Wenn das nicht geht, am besten gar nicht.

Fragen, die an Dritte gestellt werden, dagegen sofort.

Auf kurze sachliche Nachfragen ("Wann treffen wir uns?") antworten Sie nicht einfach ("Um drei?") - sondern mit einem Schwall von übergriffigen Vertraulichkeiten: "Beruhige dich. Alles gut. Jetzt mach dich mal locker. Du wirst sehen, das wird schon." u.ä.


Sollten Sie als gefühlte/r Chef:in an einem Termin keine Zeit haben, können Sie, um Revolutionsgefahren im Keim zu ersticken

a) grundsätzlich alle Termine mit Pauken und Trompeten absagen, an denen Sie selbst nicht kommen können oder

b) (die softe Methode) Ihre Vertretungen für alle Amtshandlungen detailliert benennen (divide et impera, also etwa so: "Da Vize 1 und Vize 2 auch nicht da sind, bitte ich x, die Gesprächsleitung zu übernehmen" (damit stellen Sie auch gleich nochmal Rangordungen sicher) "y kann dann den Beamer holen und z den Hagebuttentee raussuchen" oder so ähnlich. Meistens findet man sich irgendwie als z wieder.).

Bilateral: Sie sagen natürlich jedem nur so viel, wie er/sie zur Erledigung seiner Pflichten wissen muss.

Kritik muss mit einem Lob begonnen werden, und dann einfühlsam weitergehen, damit der andere sich in seine sechste Klasse zurückversetzt fühlt ("Erstmal toll, dass du's versucht hast. Bestimmt weisst du noch nicht, wie man...")


Noch demütigender: Sie haben die Korrektur einem selbsternannten Experten überlassen. ("Der Mann von meiner Freundin hat da noch was eingefügt").


6. Der Umgang mit Arbeitsaufträgen

Für Faule:

Versuchen Sie, Arbeitsaufträge in den Bereich niederer Dienste zurückzudelegieren ("Schreib mir doch morgen kurz vor 17 Uhr nochmal ne Erinnerung").

Arbeitsaufträge, die Sie für strategisch oder inhaltlich sinnlos halten, nehmen Sie an und machen Sie einfach nicht. Das hat den Vorteil, dass sie erstens dann auch kein anderer macht und Sie sich zweitens eine ermüdende Diskussion darüber sparen.


Für Motivierte:

Sie machen ALLES selber und beschweren sich andauernd über Überlastung. Botschaft: Alle anderen sind völlig unfähig.

Für Fortgeschrittene: Sie erfinden noch ein paar zusätzliche Aufgaben, die Sie bis zur Erschöpfung ausführen können. Die Menschheit ist zwar bisher auch ohne diese klargekommen, aber der Unterschied zwischen Ihnen und dem Lotterladen um sie herum wird noch etwas deutlicher.


Bei Kooperationen gehen Sie weit über Ihren Teil hinaus. Dadurch, dass sie die Beiträge der Kolleg:innen als Kollateralschaden über den Haufen werfen ("leider musste ich nachts um drei alles nochmal völlig umschreiben") verdeutlichen Sie alphatiertypische Überlastung.


Kombination:

Sie delegieren Arbeitsaufträge, sagen aber dem ausführenden Untertanen GANZ GENAU, wie er es machen soll. ("Du schreibst: "Sehr geehrter Herr Dings,...."und dann schickst du das noch dem xy und sagst dann..., und nach 2 Tagen hakst du nach, und zwar fragst du dann,...usw.)


Für Fortgeschrittene, bei Widerstand des/der solcherart gedemütigten Kolleg*in: Sie versuchen ihn/sie bis zum bitteren Ende in die Knie zu zwingen ("Wie, ich mach das am besten gleich selbst? Aber du müsstest mir auf jeden Fall die Zahlen raussuchen. Wie, die stehen da schon? Dann schicke mir aber wenigstens morgen früh um 8.43 Uhr eine Erinnerungsmail. Wie, ich kann mir das doch gleich in den Kalender eintragen? DANN HOL MIR MAL DEN STIFT DA DRÜBEN!")


7. Weiterführende Kompetenzen:

Informelle Führung: Mischen Sie immer da mit, wo Sie eigentlich nichts zu tun haben. Botschaft: Kraft meiner charismatischen Persönlichkeit bin ich der einzige, der keine formales Mandat braucht. Ich bin für immer bei allem unersetzlich, und das wisst ihr doch auch, wenn ihr mal ehrlich seid.

Virtuose Variante: Sollten Sie es schaffen, auf mehreren Ebenen auf die beschriebene Art informell präsent zu sein, können Sie wechselseitig damit angeben ("Ebene x hat längst zugestimmt, nur hier dauert das so lang. Ihr wollt ja wohl nicht die letzten sein, die endlich verstehen, dass...").


Switch Perfect 1: Üben Sie den virtuosen Wechsel zwischen Klugscheißerei und postfaktischer Abgeklärtheit. Praktische Etüde: Feuern Sie halbwegs fachspezifisch passend erscheinende Fremdwörter auf die Runde um Sie herum ab, bis Sie merken, dass man Ihnen nicht mehr glaubt und korrigierende Informationen drohen. Dann schwingen Sie sich im richtigen Moment eine Ebene höher und sondern von dort relativierend-philosophische Big-Picture-Blasen ab ("...aber letztlich ist das ja alles irrelevant. Entscheidend bist ja mehr du selbst und wie du so ganz tief drin dazu stehst – ist ja eh alles subjektiv. So oder so – wen interessiert's....." oder ähnlich).


Switch Perfect 2: Erreichen Sie ihre Ziele durch virtuose schnelle Wechsel von, böse gesagt, Arschkriecherei und Demagogie. Schwanzwedeln Sie bei einflussreichen Leuten herum, so lange das nützt. Kommen Sie hier nicht weiter, weil man sie durchschaut, schalten Sie blitzschnell um auf basisdemokratischer Robin Hood und hetzen die dumpfen Massen gegen die herrschende Oberschicht auf. Achtung – das ist wirklich nur bei Meisterschaft erlaubt, denn Sie müssen den Punkt vorausahnen, ab dem sie als Guru ausgedient haben und sich wieder als artiger Diener nach oben orientieren müssen.


Switch Perfect 3: Hier trainieren Sie die Gratwanderung zwischen Heiter und Ernst. Sagen Sie Dinge, die sogar Ihnen ZU unverschämt vorkommen, mit einem Augenzwinkern (schriftlich geht das sowieso perfekt mit einem dieser beliebten Smileys: Vor einem solchen können Sie so unangemessene Sachen schreiben, wie Sie wollen). Die doppelte Botschaft (Text übergriffig, Tonfall beschwichtigend) wird ihre Gesprächspartner*innen mindestens kurzfristig so verunsichern, dass Sie anschließend freie Hand haben, äh, freies Wort.

Viel Spaß!


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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